1984

1984 bleibt schmerzhaft aktuell. Lest es!

George Orwells berühmt-berüchtigte Dystopie "1984" hat die Ehre erhalten, mein erstes Buch in 2025 zu sein - und das zurecht.
Was ein Buch! Dem ewig anhaltenden Hype wird es vollends gerecht. Nun, ist es wirklich ein "Hype", wenn angesichts des technologischen Fortschritts, der nationalen und geopolitischen Entwicklungen immer wieder sorgenvoll auf die Handlung dieses 1949 erschienenen Romans verwiesen wird? Wir wären doch zweifelsfrei froh darüber, wäre der Roman heute nicht mehr relevant, könnten wir ihn wie manch anderes Werk ins Regal stellen und dort langsam verstauben lassen.
Aber dem ist nicht so. 1984 bleibt schmerzhaft aktuell.


Worum geht es?

Es ist das Jahr 1984. Die gesamte Erde ist in drei Großreiche eingeteilt: Ostasien, Eurasien und Ozeanien, die in einem ewigen Krieg miteinander verwickelt sind. Ozeanien wird von Der Partei regiert, einem autoritären Überwachungsstaat - Big Brother is watching you.
In diesem Reich, genauer gesagt in London, lebt Winston Smith und arbeitet im Ministerium für Wahrheit, wo er alte Dokumente rückwirkend fälschen beziehungsweise "korrigieren" muss.
Die Parolen des Ministeriums:

Krieg ist Frieden.
Freiheit ist Sklaverei.
Unwissenheit ist Stärke.

Und inmitten von Menschen, die ihre Persönlichkeit vollständig im Kollektiv des Volkes versenkt haben, die alles glauben, was sie hören, und die mentale Akrobatik ausführen, um offensichtliche Widersprüche im Narrativ zu ignorieren, träumt Winston von der Revolution. Er beginnt Tagebuch zu schreiben, was an sich schon höchst illegal ist. Er schreibt:

Freiheit bedeutet die Freiheit, zu sagen, dass zwei und zwei vier ist. Gilt dies, ergibt sich alles übrige von selbst.

Mehr möchte ich nicht zum Inhalt sagen, denn es lohnt sich, möglichst ungespoilert zu lesen, wie auch ich es getan habe. Ich garantiere, dass es sich lohnt. Die Handlung durch eine Buch-Zusammenfassung online zu erfahren (grundsätzlich Blasphemie!) bewirkt einfach nicht die gleiche Reaktion, wie es das eigenmächtige Lesen des Textes vermag.
Immer wieder hält man beim Lesen inne und stellt ganz von alleine Parallelen zu unserer modernen, realen Welt her. Gerade der dritte Teil des Romans hat in mir ungeahnte emotionale Reaktionen bewirkt, die ich so beim Lesen noch nie erlebt habe. Das Ausmaß dieser Dystopie, dieser absolut hoffnungslosen Lage und depressiven Stimmung wird von einer bloßen Zusammenfassung nicht annähernd eingefangen. Beim eigenen Lesen aber - wow!


Aktualität!

Im Nachwort der mir vorliegenden Version - eine deutsche Übersetzung von Michael Walter bei Ullstein - wird im ersten Satz Donald Trump erwähnt. Es geht um die berüchtigten "Alternativen Fakten", unter deren Namen blatante Lügen verharmlost werden. Und das, wie sich nicht bestreiten lässt, klingt beunruhigend ähnlich wie die allmächtige Partei des Romans, die die gesamte Faktenlage zur Geschichte, Wirtschaft, ja sogar Naturgesetze und Mathematik beliebig manipulieren kann. Was ist die Wahrheit? Das, was die Partei sagt. Und wenn der Präsident der USA sich in der nächsten Amtsperiode dazu entschließt, dass 2 + 2 = 5 ist, dann ist das halt so.
Ich habe den Roman wie bereits gesagt Anfang Februar 2025 gelesen, wenige Tage vor der erneuten Amtseinführung Trumps. Aber auch ganz unabhängig davon schreien die Nachrichten in letzter Zeit immer mehr "Ich bin eine Dystopie! Holt mich hier raus!". Ein paar Beispiele:

-Alice Weidel, Kanzlerkandidatin der AfD, behauptet, Adolf Hitler sei ein Kommunist gewesen und dass alles Übel der Weltgeschichte grundsätzlich von der politischen Linken herrühre.

-Elon Musk, der mit X eine der zentralen Social-Media-Plattformen kontrolliert, wird ein Teil der Trump-Regierung werden. Es ist eine wirklich super Idee (man höre den Sarkasmus!), dass die Verbreitung von Nachrichten maßgeblich in der Kontrolle der Regierung liegt! Es wird definitiv nicht passieren, denn es passiert ja definitiv nicht schon jetzt, dass Musk extremistische Botschaften und Lügen auf X fördert, während ihm gegenüber Kritisches vom Algorithmus benachteiligt wird.

-Um Trump zu gefallen, kündigt Mark Zuckerberg an, auf Instagram und Facebook den Faktencheck abzuschaffen. Super. Mehr Falschinformationen. Die Wahrheit ist das, was halt behauptet wird. 2+2=5.

-Zuckerberg kündigt außerdem an, seine Plattformen mit Bot-Accounts zu überschwemmen, die von echten Menschen nicht zu unterscheiden sind. Damit wird völlig undurchsichtig, was die tatsächliche Meinung der Bevölkerung ist. Für jeden kritischen Post gegenüber Zuckzuck kann er ab nun einfach 10 Bots etwas Positives über sich sagen lassen. Was ist der reale Konsenz? Nobody will ever know.

Das sind nur ein paar Schlagzeilen, der letzten Wochen, die besonders gut zu dem Thema der Informationskontrolle passen. Über den Rechtsruck Europas oder neu aufkeimende Träume eines amerikanischen Großreichs, geschweige denn den immer drohenderen dritten Weltkrieg müssen wir an dieser Stelle gar nicht sprechen. Es scheint, als sei 1984 realer denn je.

☝️
Und deshalb muss ich nun etwas tun, vor dem ich mich ansonsten scheue: Ich spreche eine uneingeschränkte Leseempfehlung, nein, einen LeseAPPELL aus. LEST. DIESES. BUCH. Ich meine das ernst. Es sind bloß 350 Seiten, viel kürzer werden Romane, geschweige denn literarische Klasssiker, nicht wirklich.

Was jeder Einzelne aus der Lektüre mitnimmt, sei ihm selbst überlassen, doch das Bewusstsein für die dramatische Lage, in die sich die westliche demokratische Welt hineinbugsiert hat, wird definitiv geschärft werden. So wie es ist, kann es nicht bleiben! Denn wenn es so bleibt, wie es ist, wird es werden, wie es 1984 war.

Wir müssen die Anzeichen sehen und rot anmarkern. Wir müssen uns für jede Schlagzeile, die nach Überwachungsstaat, nach Zensur, nach Extremismus, nach Manipulation von Fakten und nach Verlust der Individualität stinkt, wehren!

Es ist 2025. Lasst es nicht 1984 werden. 2+2 ist 4.