Geburt und Gräuel

An Nietzsche angelehnte Überlegungen über die Brutalität der zwangsläufig unfreiwilligen Geburt.

Es ist im düstersten Moment der menschlichen Existenz, dass ein jeder die Gräueltat erkennt, die seine eigene Geburt darstellt. Ausgespuckt aus dem warmen, weichen Mutterleib liegt mit einem Schlag der erbärmliche Infant auf dem Tische und schreit sich die Seele aus dem Leib - weshalb er auch im Rest seiner Existenz eine solche nicht mehr hat.

Aber Oh! höre ich es schreien, wie kann er solche Dinge schreiben, wer ist er denn? 

Ja nun, wer bin ich? - Ein Mensch! Auch mir ist das alles widerfahren. Wer könnte qualifizierter sein als ich? - Nun, keiner, denn uns allen hat man diese Schweinerei angetan, wir wissen jeder einzelne von unserem Ursprung. 

Was aber ist der Sinn dahinter, sich diese Ungerechtigkeit bewusst vor Augen zu führen? Erkenntnis um der Erkenntnis Willen? Aber ja, warum denn nicht! Erleuchtet zu sein heißt schließlich auch, zu rebellieren. Der Infant auf dem Tische nämlich weiß nichts von dem Unrecht, sonst würde er sich selbst mit der Nabelschnur erdrosseln, bevor die ganze Misere sich über Jahre hinweg entfalten kann. Notbremse, Alarm, Schuss, Schluss.

So sind wir aber hier, wissen erst nachträglich von all diesen Dingen, und können nichts daran tun. Aber sich durch die Erkenntnis aktiv über diese ursprüngliche Version seiner selbst zu stellen, weil man es heute alles versteht, damals aber völlig ahnungslos war, bedeutet auch, sich von ihr zu distanzieren. Weg mit dem Baby! Sei also ein Mann. Einer der weiß, warum er ist, und einer der versteht, warum es so sein muss, dass er ist, wie er ist. Denn im Zuge der Erkenntnis rückwirkend eingreifen gilt nicht - es geht nicht! Solch eine postnatale Abtreibung wäre eben (Selbst-)Mord. Stellen wir uns stattdessen dem Schicksal, bevor es uns am Ende ausspuckt und vergisst. Keine Bange, es dauert nicht lange!

Und danach? Der warme, weiche Mutterleib etwa, in den wir unschuldig zurückkehren können, als wäre alles nicht gewesen? Unfug! Da ist Chaos, Wut, und Umwerfung im Gange, ein ausgewachsener Mensch passt gar nicht mehr hinein in diese Fleischhöhle, er ist aus ihr herausgewachsen. Er richtet also starr den Blick nach vorn und geht geradeaus, Gleichschritt, Schritt gefasst und von vorn. 

Aber das ist auch nicht die Lösung! Denk doch einmal nach! Im Mutterleib wirst du erschaffen, dann wächst du aus ihm hinaus und bist ein Mensch ganz und gar. Du erkennst, was da vor sich gegangen ist, und hast schon alleine dadurch kaum noch etwas mit dem schreienden Infant zu tun. So wenig vielleicht, dass du sogar zu seinem Gegenteil mutierst: Die Mutter! - Erschaffe doch deinen eigenen, der Zeit angemessenen Mutterleib: Größer, robuster, allumfassender.
Da staune mal einer, zu was eine einfache Erkenntnis führen kann.