Hyperion // Endymion

Ein Blick auf die vier Romane "Hyperion" und "Endymion".

Hyperion ist wahrhaftig ein Meisterwerk der Science Fiction und verdient mehr als jedes andere Werk, das ich bislang gelesen habe, als "episch" beschrieben zu werden. Die Fortsetzung "Endymion nicht so sehr. Lasst uns darüber sprechen.


"Hyperion" und die direkte Fortsetzung "Der Sturz von Hyperion" erschienen 1989 und 1990, geschrieben von Dan Simmons. Die Sequels "Die Pforten der Zeit" und "Die Auferstehung" (Im Englischen deutlich besser betitelt als "Endymion" und "The Rise of Endymion") folgten 1996 und 1997. Sie bilden jeweils in Zweierpaaren unmittelbar zusammenhängende Geschichten. Ich habe sie in den beiden Ausgaben von Heyne gelesen, die die Zweierpaare jeweils vereinen und die dann auf zweimal 1400 Seiten kommen. Das ist nicht ohne.
Es handelt sich um Science Fiction der hohen Schule, mit Weltraumschlachten, vielen verschiedenen Perspektiven und Planeten, Denkanstößen und einer dicken, dicken Atmosphäre.

Hyperion wirft den Leser denkbar kryptisch in die Welt hinein. Hier der erste Absatz:

Der Hegemoniekonsul saß auf dem Balkon seines Ebenholzraumschiffs und spielte Rachmaninows Prelude in cis-Moll auf einem uralten, aber gut erhaltenen Steinway, während sich große grüne Saurierwesen unten in den Sümpfen drängten und heulten. Im Norden braute sich ein Gewitter zusammen. Die Umrisse eines Waldes gigantischer Gymnospermen zeichneten sich vor blutergussschwarzen Wolken ab, Stratokumuli türmten sich neun Kilometer hoch in den aufgewühlten Himmel. Blitze zuckten am Horizont. Näher beim Schiff selbst stapften reptilienhafte Gestalten in das Sperrfeld, schrien auf und trotteten zurück in den indigofarbenen Nebel. Der Konsul konzentrierte sich auf einen schwierigen Teil des Preludes und schenkte weder dem Gewitter noch dem Einbruch der Nacht seine Aufmerksamkeit.
Der Fatline-Empfänger läutete.

Was zum Teufel ist denn hier los?, mag man sich nach diesem ersten Absatz fragen. Das ist normal so. Das ist gut so. Das ist eines der Elemente, das die Hyperion-Bücher so grandios macht: Zwischenzeitlich hat man mehr Fragen als Antworten, hat viele der genannten Wörter noch nie gehört - und dennoch spürt man instinktiv, dass die Fragen Antworten haben, dass all diese fremden Wörter und Konzepte gehaltvolll sind. Der Autor weiß gewiss, was er da gerade geschrieben hat, und wenn ich weiterlese, werde ich es auch wissen.

Es gilt allerdings: Viele Antworten und Erklärungen werden nicht auf dem Silbertablett präsentiert, sondern müssen eigenständig zusammengebaut werden. Und die Romane sind kryptisch. Manche Antworten werden gar nicht gegeben - die folgen dann in den Sequels -, manche Antworten werden aber auch überhaupt nicht gegeben. Bei "Hyperion" funktioniert dieses Kryptische sehr gut. Bei "Endymion" nicht so sehr.

Im Folgenden gebe ich meine Meinung ab zu diesen vier Büchern, diesen zwei Duologien. Das ist freilich ein Spießroutenlauf, weil ich Spoiler vehement verhindern will und die Handlung auf einander aufbaut. Lasst es uns trotzdem versuchen.


Hyperion

Der Hegemoniekonsul wird also angerufen - von der Präsidentin der Hegemonie höchstpersönlich. Sie teilt ihm mit, er sei von der Kirche des Shrike ausgewählt worden, nach Hyperion zurückzukehren als Teil der vermutlich letzten Pilgerreise zum Shrike. Scheinbar würden sich die Zeitgräber öffnen.

Erneut: Was? Was? Was soll das alles heißen? Shrike? Zeitgräber?
Nur viel: Das tituläre Hyperion ist der Planet, auf dem die Handlung stattfindet. Und es ist der Vorabend eines Krieges.
Die Menschen haben sich unter der praktisch allumfassenden Hegemonie vereint, die viele verschiedene Planeten terraformt und bewohnt. Sie arbeiten zusammen mit künstlichen Intelligenzen, die sich schon vor langer Zeit vom Menschen eigenständig gemacht haben und nun im Kollektiv als eigene Fraktion, dem TechnoCore, auftreten. Ihre Technologie hat es ermöglicht, die meisten Planeten der Hegemonie mit Farcastern zu verbinden - essentiell frei zugängliche Portale.
Doch es gibt auch die sogenannte Ousters. Einst Menschen, nun verstärkt an das Leben im All angepasst, ähneln sie teilweise Tieren. Und bald greifen sie Hyperion, eine Welt im Outback der Hegemonie, an. Sehr bald.

Jene Pilgerreise, zu der der Konsul schließlich einwilligt und zu der neben ihm noch sechs weitere scheinbar wahllos ausgewählte Personen gehören, stellt die Handlung des gesamten ersten Romans dar.
Wobei: Die Reise selbst rückt bald in den Hintergrund, denn die Reisenden beginnen sich, ihre Hintergrundgeschichten zu erzählen. Sie erkennen, dass sie doch nicht aus Zufall hier sind. Jeder dieser sieben Menschen hat einen persönlichen Grund, zum Shrike und den Zeitgräbern zu pilgern. Jeder hat eine Verbindung zu den Ereignissen, die sich in Bälde entfalten werden. Jeder hat eine eigene, wichtige Rolle zu spielen.
Während also die Rahmenhandlung aus der Sicht des Konsuls geschildert ist, fungieren im Großteil des Romans alle Pilger als gleichwertige Protagonisten eine zentrale Rolle. Das sind, um die wilde Diversität der Gruppe einmal zu beleuchten:
Der Konsul, ein Tempelritter, eine Detektivin, ein Gelehrter, ein Dichter, ein Soldat und ein Pastor. (Ja, ein Pastor. Die Kirche gibt es auch in der fernen Zukunft noch, wenn auch unbedeutend und klein.)

So besteht der erste Roman zum Großteil aus diesen in sich getrennten Schilderungen der Pilger. Wir lernen die Personen ausführlich kennen - und durch sie die Welt, die Planeten, die Politik. Seite für Seite entfaltet sich ein immer tiefergreifenderes Bild vom Kontext der Ereignisse. Langsam beginnt der Leser zu erahnen, was auf dem Spiel steht. Was die Signifikanz jener Dinge ist, die noch zu Beginn im Telefonat wie Kauderwelsch klangen. Simmons macht das großartig. Wahrhaftig großartig.
Hyperion endet damit, ich denke, das gilt kaum als Spoiler, dass die Pilgergruppe ihr Ziel erreicht. Die eigenen Handlung des Romans entfaltet sich in den Schilderungen der Reisenden, und jede Einzelne ist auf ihre eigene Weise fürchterlich interessant. Hyperion ist ein wirklich gutes Buch.

Und dann kommt Buch 2, "Der Sturz von Hyperion". Oh. mein. Gott. Dieses Buch. Muss eines der besten sein, die ich je gelesen habe. Völlig unbestreitbar.

Über die Handlung kann ich hier nur zwei Punkte sagen, ohne zu spoilern. Bitte, lasst euch dieses Buch nicht spoilern!
1. Die Handlung setzt da an, wo Hyperion aufhört.
2. Die Handlung eskaliert unglaublich schnell und bläst sich zu immer größeren Dimensionen auf, dass beim Lesen schwindelig werden kann. Das Verständnis von "Was zum Henker passiert hier eigentlich!?!?" dämmert dem Leser immer mehr. Und es wird immer grandioser - ohne aber weniger kryptisch zu sein.

Die Riege der Perspektiven aus dem ersten Teil wird noch durch einige andere Personen ergänzt. So viele Perspektivsprünge beschleunigen die Handlung ungemein - und niemals wird es unübersichtlich, man ist in die Erlebnisse jeder einzelnen Person gleichermaßen involviert. Das allein ist eine schriftstellerische Meisterleistung, denn es sind zwischenzeitlich wirklich viele Perspektiven.

Dieses Buch - wow. So, so gut. Ich wünschte, ich könnte mehr über den Inhalt sagen, aber auch nur irgendetwas zu spoilern erachte ich in diesem Fall noch mehr als normalerweise als Sakrileg.
Auf inhaltlicher Ebene, gleichermaßen auf sprachlicher Ebene (wobei ich die deutsche Übersetzung gelesen habe), wünschte ich, nur einigermaßen so wie Dan Simmons schreiben zu können. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.


Endymion

Hyperion habe ich im September/ Oktober 2024 gelesen. Monate später, nämlich Februar/März 2025, nehme ich mir Endymion zur Hand.
Was erwarte ich?

Ich weiß, dass Endymion circa 200 Jahre nach Hyperion 2 spielt. Ich weiß, dass einige Fragen noch zu beantworten sind. Das ist alles.

Nun, mit diesen beiden Punkten lag ich richtig. Die Handlung spielt in der noch ferneren Zukunft. Aber: Dass Fragen offen sind, heißt nicht, dass sie hier auch angemessen beantwortet werden...
Das ist etwas kompliziert: Am Ende der durch und durch kryptischen Hyperion-Bände hatte ich kein Problem damit, nicht alles so eindeutig zu wissen oder zu verstehen. Diese Bücher haben eine gewisse Ausstrahlung, eine gewisse Atmosphäre, die gerade davon lebt, dass nicht alles ganz klar beantwortet wird.
Nun gibt es aber eine Fortsetzung. Die könnte zwei Wege gehen:
Entweder sie präsentiert sich gleichermaßen wie das legendäre Hyperion - also kryptisch -, oder sie bindet die losen Fäden zusammen, sodass am Ende endlich ein klare Verständnis von "Was zum Henker passiert hier eigentlich!?!?" herrscht.
Nun. Die Endymion-Bände gehen einen unglücklichen Mittelweg.

Es werden hier und da Fragen aus Hyperion beantwortet, das stimmt. Aber diese Antworten sind völlig unzufriedenstellend weil intern wieder kryptisch. Die schlechte Art von kryptisch, denn in diesem Fall erkennt man beim Lesen: "Mehr erfahre ich jetzt nicht mehr dazu. Dieses große Mysterium, das ich noch von vor zwei Büchern mit mir herumschleppe, wird jenseits von dieser halbgaren Erklärung nicht mehr erläutert werden." Das Kryptische - und ja, ich werde des Begriffs langsam überdrüssig - bei Hyperion baut entscheidend auf dem Bauchgefühl auf, dass da irgendwie mehr ist, was der Autor einem verschweigt, was man vielleicht mit zugekniffenen Augen erkennen könnte. Endymion zerstört das. Und gibt im Zuge dessen noch nicht einmal wenigstens zu ALLEN Fragen Antworten.

Stattdessen bietet Endymion etwas anderes: Eine Romanze.
Nun bin ICH persönlich kein besonderer Freund von der Tatsache, dass in praktisch jedes Buch, jeden Film und jede Serie auf Krampf eine Liebesgeschichte eingebaut wird. Geschichten, die ich kenne und die ohne eine solche auskommen, kann ich an zehn Fingern abzählen.
Nun habe ich natürlich nichts gegen Liebe an sich! Aber nicht jede Geschichte bedarf sie. Und Endymion - man glaubt es kaum - bedarf sie. Hier macht es tatsächlich Sinn für die eigentliche Handlung, dass da eine Romanze ist; sie passt vom Thema her prima herein. Ich laufe hier große Gefahr, doch zu spoilern, um erklären zu können, warum diese Beziehung, von der ich rede, gerade am Anfang jedoch sehr unangenehm ist. Vertraut mir an dieser Stelle, wenn ich sage, dass die Ausgangslage jener Beziehung einfach creepy ist, wenn man anhält und auch nur einen kurzen Moment darüber nachdenkt. Später im zweiten Band ist es dann okay, aber nimmt doch ZU viel Platz ein.
Zwischenzeitlich erlebte ich mein persönliches Vietnam, als fünf Seiten lang der Akt beschrieben wird, während ich unterdessen so viele Fragen zur eigentlichen Handlung habe. Naja. Man kann ja nicht alles haben, aber diese beiden Romane haben nicht nur nicht alles, sondern darüber hinaus recht wenig.

Ein paar Kommentare zum Protagonisten.
Nachdem Hyperion gleich 7 Protagonisten und im zweiten Band NOCH MEHR hatte, deren Perspektiven sich stetig abwechseln, hat Endymion tatsächlich einen einzigen richtigen Protagonisten: Raul Endymion. Perspektivwechsel gibt es natürlich trotzdem immer wieder.
Raul ist durchaus sympathisch, aber er ist für die Handlung weitestgehend - überflüssig. Es hätte jeder andere seine Rolle übernehmen können. Im zweiten Teil ist er dann sogar wirklich fast nur noch Beobachter von Dingen, die er nicht versteht und die ihm keiner so recht erklären will. Diesen Umstand kommentiert er selbst mehrfach, aber das macht es nicht besser für die Spannung, für die Involvierung des Lesers.

So muss ich feststellen: Endymion 1 ist ziemlich langweilig. Nach einem wirklich starken ersten Akt - passiert bis ganz zum Schluss nicht wirklich etwas Signifikantes. Okay, denke ich mir, es wird sich wie mit den "Hyperion"-Bänden verhalten: Ein guter, relativ entspannter erster Teil, bevor in Teil 2 die Handlung völlig eskaliert.
Wo "Der Sturz von Hyperion" aber sofort in die Aktion einspringt und die Geschwindigkeit beibehält, dümpelt Endymion 2 nochmal sehr langweilig bis zur Hälfte des Romans herum, ehe dann wirklich Dinge zu passieren beginnen. Ab da passiert aber alles viel zu schnell, erst JETZT kommen überhaupt jene Antworten, auf die beim Lesen von Anfang an gelauert wurde - vielleicht sind sie deshalb auch so halbgar und unvollständig, denn in der aktuellen Handlung müssen ja auch noch Dinge geschehen und neu aufgeworfene Fragen irgendwie beantwortet werden. Und Raul, der nie recht weiß was gerade passiert, ist umgeben von Leuten die nicht nur mehr wissen als er, sondern die auch offensichtlich einen konkreten Plan haben. Dieser Plan entfaltet sich im Hintergrund, wenn Raul abwesend ist, und wir erfahren erst dann Stück für Stück davon, wenn zentrale Teile der großen Handlung schon abseits der Seiten geschehen ist. Unfassbar unglückliche Entscheidung des Autors.

Wie aufgefallen sein sollte, spreche ich selbst hier in der Sektion zu "Endymion" noch immer ab und zu über "Hyperion". Nun. Es hängt eben alles zusammen, und die Handlung von drei Vierteln der Sequels ist praktisch nonexistent. Kein Wunder, dass dies vom unendlich aufregenderen Hyperion überstrahlt wird. Wenn Hyperion die Sonne ist, ist Endymion der kleine Mond, dessen Licht auch nur von der Reflektion seines übermächtigen großen Bruders kommt.


Habe ich schon erwähnt, dass - rethorische Frage, ich weiß, dass ich es noch nicht getan habe - beide Buchtitel so schon anderweitig genutzt wurden?
Tatsächlich ist die sehr explizite Entlehnung der Titel zurückzuführen auf zwei epische Gedichte des britischen Dichters John Keats (1795 - 1821). Warum? Das lasse ich offen. Aber es ist relevant, vertraut mir. Jene Gedichte muss man selbstverständlich nicht gelesen haben.
Das ist aber nicht die einzige Intertextualität, die sich finden lässt. Diese Bücher sind strotzevoll mit philosophischen und theologischen Überlegungen - und mit literaturtheoretischen Überlegungen. Ich möchte nicht spoilern, aber das könnte ich an dieser Stelle auch gar nicht recht. Dazu müsste ich das in Worte fassen können, was ich im Wesentlichen nur als grobes, aber sehr bedeutungsschwangeres Gefühl kenne. Eine bloße Ahnung von den postulierten Zusammenhängen reicht aus. Die Handlung ist größer als du oder ich. Genau darum geht es (zumindest in Hyperion, gottverdammt!).


Fazit

Ich hoffe, ich habe das bis hierhin klar genug gemacht:

Hyperion: Sehr Gut
Der Sturz von Hyperion: Grandios großartig genial gut.

Endymion 1: Okay.
Endymion 2: ......Ich weiß nicht. Es passieren Dinge, aber zu spät und irgendwie nicht die Dinge, die ich erwartet habe. Als Abschluss der Duologie ist es okay, als Abschluss des Vierteilers ist es eine bodenlose Frechheit.

Gleichzeitig bin ich mir bewusst:

💡
Auch Hyperion ist nicht für jeden etwas. Es ist lang. Es ist komplex und gerade am Anfang verwirrend. Manches muss man eigenständig interpretieren. Es ist durch und durch bedeutungsschwanger. Es ist kein Buch zum Entspannen, sondern zum Mitdenken.
Wer gerne mal einen Fitzek liest, ist hier falsch aufgehoben

Und ob man anschließend noch Endymion lesen will, ist eine andere Frage. Ich würde ganz spontan sagen: Tut es nicht. Es macht viel von dem enormen Eindruck kaputt, den Hyperion beim erstmaligen Lesen macht.

Meine Meinung ist nur meine Meinung, habe ich auch hier wieder eindrucksvoll feststellen müssen. Beim Versuch, nach Ende der Bücher ein, zwei Antworten im Internet zu finden - und nicht fündig geworden bin... - habe ich auf Reddit einen Einblick bekommen, wie gespalten die Leser sind. Da gab es welche, die Endymion viel besser als Hyperion fanden. Erstaunlich, aber normal. Wir sind Menschen. Wir haben andere Geschmäcker. Wir suchen in unseren Büchern unterschiedliche Dinge. Darum geht es letztendlich auch in diesen Romanen: Mensch-sein.

So. Und jetzt reicht es. Ich hoffe, ihr lest die Hyperion-Bände. Sie sind sehr gut.

Eliah out.