Eindimensionale Sprache und die Polarisierung der Gesellschaft

Die Begriffe "Hass" und "Liebe" werden inflationär gebraucht. Die negativen Implikationen dessen gehen weit über Linguistik hinaus.

Ich versuche in letzter Zeit verstärkt, die Begriffe "Hass" und "Liebe" bewusster, somit seltener zu verwenden. Da steckt mehr hinter.


Etwas zu hassen oder zu lieben erscheint mir - extrem. Ich bin kein Freund von Extremen. Extreme sind kompromisslos, sind Alternativlos, sind Verständnislos. Sie haben ihren Platz, keine Frage - ich bin nicht einer jener Menschen, die zum Beispiel den Hass als inherent schlechte oder böse Emotion, als nicht wünschenswert klassifizieren - aber in Maßen, in Maßen muss es sein.

Das scheint im Sprachgebrauch des Mainstreams anders zu sein. Hier fällt mir immer häufiger in immer absurderen Situationen auf, wie jemand veräußert: "Das hasse ich!/ Das liebe ich!"
So eine starke Emotion! Das muss doch gerechtfertigt sein! Und andersherum: Wenn alles gehasst oder geliebt wird, verlieren diese Begrifflichkeiten prompt ihre Aussagekraft! Die Sprache - nicht nur die deutsche - bietet doch genug Vokabeln, um die unendlich wichtigen Nuancen zum Ausdruck zu bringen.

Nur weil ich Taylor Swifts Musik nicht höre und sie mir nicht liegt, muss ich das Werk geschweige denn die Frau nicht gleich zu hassen beginnen! Ich mag das Album nicht, über die Frau habe ich keine Meinung. Ich kenne sie doch gar nicht! Ende. Ich habe nicht die Energie, eine Prominenz und ein Produkt zu hassen.
Weil mir jener Energydrink schmeckt, muss ich ihn nicht gleich lieben - wenn mir auch das andere Getränk schmeckt und ich ebenso von Liebe spreche, woher soll dann ersichtlich werden, welches ich davon bevorzuge?


Mir ist bewusst, dass der Durchschnittsmensch, der beide Wörter inflationär benutzt, nicht tatsächlich all jenes hasst und liebt. Es liegt gewiss auch nicht an einem schwachen Wortschatz, nein, es liegt schlicht daran, würde ich wetten, dass sich die wenigsten Menschen tatsächlich Gedanken darüber machen, was sie sagen und, noch wichtiger, wie sie es sagen.
Auch ich gehöre dazu! Keine Frage. Auch ich bin, wer hätte es gedacht, ein Mensch. Auch ich bin oft geneigt, eine kurze Stille in der Mitte eines Gesprächs schnell mit Worten zu füllen, eine gestellte Frage möglichst schnell zu beantworten. So kommt es schnell, dass die einfachsten, eindimensionalsten Begriffe genutzt werden, die ganz oben im uns bekannten vokabularen Genpool schwimmen und mühellos herausgefischt werden können.

Und nun nehme ich mir vor, daran etwas zu ändern. Nicht am Mensch-sein natürlich, aber an den anderen genannten Punkten.


Man darf des weiteren nicht vergessen, worum sich in Fachkreisen bis heute heiß gestritten wird: Beeinflusst die Sprache das Denken oder das Denken die Sprache?
Am einfachsten ist es zu sagen, deswegen tue ich das an dieser Stelle, dass Denken und Sprechen sich gegenseitig beeinflussen. Soll auf den eingangs gemachten Punkt angewandt heißen: Ein simples Sprechen ohne Nuancen kommt von simplerem Denken und führt widerrum noch verstärkt zu einem solchen. Das ist nicht gut. Das ist eine Abwärtsspirale des Un-Intellekts. Das ist langfristig betrachtet das Ende, nun werde ich dramatisch, des Individuums. Nämlich genau dann, wenn wir uns auch unteinander, von Individuum zu Individuum, von unserem Sprachgebrauch beeinflussen lassen (ganz normal!), bloß der vokabulare Genpool, aus dem ein Satz entspringt, beunruhigend schrumpft. Das ist dann meinetwegen linguistischer Inzest. Weiter führe ich die Metapher nicht.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sich in der Gesellschaft jene scheußliche Polarisierung beobachten lässt. Auf der einen Seite die Rechtsextremisten, auf der anderen Seite die Linksextremisten. Und beide Seiten sehen die Welt erstaunlich schwarz-weiß, nämlich dergestalt, dass man entweder Teil der eigenen Seite ist (Dann liebt man sich) oder direkt ins gegnerische Lager zugeordnet wird (Dann hasst man sich).
Neonazis betrachten jeden, der ihnen nicht bedingungslos zustimmt, als "woke" und "links-grün versifft". Die Antifa findet, jeder, der bei ihrer Sache nicht mitmacht, muss direkt ein "Fascho" sein.
Die Gruppenidentität funktioniert hier gerade eben nur durch die strikte Abgrenzung von den anderen. Die Antifa trägt dieses Prinzip sogar im Namen selbst.
Alternativ können wir den Blick einen kurzen Augenblick in die USA werfen beziehungsweise in unsere nahe Zukunft. Blau gegen Rot, Demokraten gegen Republikaner, Liberale gegen Konservative, dieser bescheuerte Esel gegen diesen bescheuerten Elefanten - ein gesamtes Land, kulturell wie politisch unwiderruflich gespalten. Das ist ein schmerzhafter Blick, wir wenden ihn schnell wieder ab.
So oder so, bei solch einer Spaltung halte ich beide Seiten für zutiefst - erbärmlich. Hassen, ja, hassen tue ich sie nicht.

Und was fehlt hier, liebe Freunde? - Die Nuance!!!
Nicht jeder ist Freund oder Feind, nicht jeder muss geliebt oder gehasst werden! Es gibt ein großes Feld von Dazwischen, die berühmte Grau-Zone. Das weiß, hoffe ich, in der Theorie jeder, aber es muss in der Praxis auch so gelebt werden. Nur jene Menschen, die sich auf diesem Feld bewegen, können miteinander reden, diskutieren, Ansichten austauschen, ohne sich bei der kleinsten Uneinigkeit an die Kehle zu gehen. Nur hier ist ein freier Austausch sinnvoll, denn nur hier kann man etwas neues lernen, neue Perspektiven erlangen - den vokabularen Genpool erweitern und neue Gedanken bilden, was sich gegenseitig beeinflusst und bestärkt. Und nur hier kann man sich gewiss hassen und lieben, aber man MUSS es NICHT.

Um den Bogen zu schließen, nur in einem solchen Umfeld funktioniert die gegenseitge Beeinflussung des Vokabulars, des Sprachgebrauchs mit dem Ergebniss der Mehrung der Vielfalt. In den Extremistenkreisen sagen sie alle das gleiche auf zunehmend gleicher Weise. Eine analoge Filterblase ist das. Und wenn die Sprache in den Lagern immer mehr voneinander getrennt wird, ist eine Kommunikation bald nicht mehr möglich. Und so, liebe Kinder, baut man sich schwupps - eine Parallelgesellschaft! Juhuu!
Gerade dieses Umfeld der Mitte, des Dialogs, das die Basis einer funktionalen Demokratie darstellt, geht uns aktuell rapide verloren. Dass das gelinde gesagt schlecht ist, muss an dieser Stelle kaum gesagt werden.

Also, was tun? Spart euch eure Liebe und euren Hass für geringe Sonderfälle auf. Redet miteinander - und zwar auch, nein, erst recht!, wenn das Gegenüber eine andere Meinung hat. Freut euch, jauchzet und erquicket, wenn ihr ein neues Wort und eine neue Weltanschauung kennen lernen dürft.
So. Da habe ich es wieder einmal geschafft, von Linguistik auf Politik zu kommen. Ganz normal.
Aber die Meinung, die ich hier vertrete, wird wohl kaum jemandem sauer aufstoßen. Wer das hier Geäußerte bereits als beleidigend empfindet und sich jetzt "getriggert" oder "offended" fühlt, sollte einen Moment innehalten und sich die ganz ernste Frage stellen, ob nicht er selbst bereits viel zu tief in der Soße verloren gegangen ist, ob er nicht ganz vielleicht selber Teil des Problems ist. Müsste man mal drüber nachdenken.